No Future? – Quisquis‘ Punk Memories Vol. 3

Ich übernehme hier mal ein paar Texte von Quisquis, über früher und heute, die auf diaspora* veröffentlicht wurden. Teil 1 gibt es HIER.

Hie nun Teil 2 der eigentlich Teil 3 ist.

No Future?

Hier noch eine letzte Punk-Anekdote. Sie ist der Anfang einer längeren Angelegenheit, bei der es mehr um Gegenwart und Zukunft geht. Das dann demnächst unter dem Arbeitstitel „Der Vorschlaghammer“.

Am 1. Mai 1988 habe ich auf der O-Straße ein Schaufenster kaputtgemacht. Das war gar keine Absicht. Ich hatte mich schon im Polizei-Kessel vor dem SO 36 nicht mehr richtig auf den Beinen halten können. Danach bin ich ein paar Häuser weiter auf diesem Baugerüst eingeschlafen und muss da irgendwie runter geplumpst sein.

Es hat mich nicht sonderlich interessiert, ob ich wegen der Lederjacke oder überhaupt unverletzt geblieben war. Also habe ich es mir in den Scherben, halb unter dem Gerüst, wieder zum Schlafen gemütlich gemacht. Drumrum ist derweil noch einiges mehr in Trümmer gegangen. Als einzig störenden Aspekt habe ich trotzdem nur kurzzeitig eine Type empfunden: „Äi hier is ne Demo, das is gefährlich, du kannst hier nich liegen bleiben.“ Vielleicht wollte der nur wissen, ob ein Erster-Mai-Toter zu beklagen war.

War nicht. Und als die Sonne wieder schien, stand ich auf und bestellte mir im Dönerladen am Kotti ein Glas Leitungswasser. Danach habe ich allerdings einen Filmriss.

Heute wohne ich um die Ecke. Ich bin verheiratet, habe zwei Kinder und arbeite von früh bis spät in unserem Familienbetrieb für das Bruttosozialprodukt. (bis diese Sache jetzt unser Leben stillgelegt hat.) Was ist seit 1988 passiert?

Im wesentlichen habe ich wohl Verantwortung übernommen. Ich kuck nicht nur ab und an, ob ich selber noch ganz richtig bin. Es gibt sogar lauter andere Leute, die sich wehtun und mal Unsinn machen, von Kindern bis zu Mitarbeitern (als wir noch welche hatten), und für die ich mich mitverantwortlich fühle.

Abgesehen vom Abklingen der üblichen Jugend-Schizophrenie, haben sich aber auch Zeitgeist und Gesellschaft verändert. Die damalige Zeitgeist-Schizophrenie nannte man manchmal „Tanz auf dem Vulkan“ (und den hat nicht jeder überlebt).
Ich bin in West-Berlin mit der Überzeugung aufgewachsen, keine gute Zukunft zu haben.

Ich erinnere mich, einen ganzen Sommer versucht zu haben, mir einen Eckzahn auszubeißen. So eine Zahnlücke wäre nämlich stilvoll gewesen. Heute ärgere ich mich, dass in einer realen Lücke immer Nüsse verkanten und hoffe, dass nicht so schnell noch mehr Zähne ausfallen.

Schon das Jahr 1986 hatte ich in Erwartung des vorausgesagten Weltuntergangs verlebt (nachdem mir 1984 wegen des Buches widerlich gewesen war). Nur: Ich erinnere mich nicht, dass mich der nahe Abgrund irgendwie belastet hätte.

Trotzdem habe ich hoffnungsvoll aufstrebende Bands gegründet und bin auch auf Demos gegangen. Gegen das Schlechte demonstrieren und für eine bessere Welt. Das wollte ich schon tun, das Richtige. Und das Schlechte hat mich ehrlich sauer gemacht. Warum eigentlich? Ich kann mich an kein Kalkül erinnern, sowas wie „womöglich kommt doch eine Zukunft und dann schon lieber eine schöne“. Nein, tatsächlich scheint das, neben der Musik und der Punk-Kutte, mein wesentlicher Unterschied zu den Alt-Hippies gewesen zu sein: Die glaubten wohl wirklich, sie demonstrieren für ihre schöne Zukunft.

Und? Isse nun da, die schöne Zukunft? Das will ich in der Serie „Der Vorschlaghammer“ einmal quasiwissenschaftlich untersuchen. Die letzte Antwort gibt’s billig voran: Ein Scheiß is. Warum, müsstet Ihr dann demnächst mühevoll hier zuende lesen.

Es hat etwas zu tun mit den Hippies und der Stasi, der Aufklärung und der Steinzeit, dem Lexikon meines Vaters, Verwaltungsbeamten im Che-Guevara-Hemd, Kacke im Hinterhof und dem Krieg. Eine Sightseeing-Tour durch die letzten paar Jahrzehnte und Jahrtausende. Ein paar Blicke über den deutschen Tellerrand und eine Abrechnung mit der politischen Korrektheit, die sich zu einer bösen Religion entwickelt hat.

Ob diese Geschichte selbst zu einer schönen Zukunft beiträgt, ist mir nach wie vor erstmal wurscht. Natürlich gibt es da heute dieses Verantwortungsgefühl mittenmang, für meine Kinder und die Gesellschaft und sonstwen. Aber ich hoffe ehrlich, dass ich nicht auch einmal so senil halsstarrig werde wie die Nachkriegs- und 68er-Spießer, von den Jungen meinerseits Dankbarkeit zu verlangen für die angeblich so schöne Welt, die ich ihnen erkämpft habe. An sowas glaube ich nicht.

Wie bei alten Leuten üblich, tue auch ich hauptsächlich das, was ich in der Jugend gelernt habe. Das heißt hier: Das Maul aufmachen und „Fickt Euch!“ rufen, wenn es wehtut. Wenn das Gerechtigkeitsgefühl in der Magengrube Alarm schlägt und brüllt: „Ihr lügt doch!“ und „Mich kriegt ihr nicht“. Warum auch immer. Um ein guter Mensch zu bleiben, was das auch sein mag. Oder einfach ich selbst.

Natürlich ist das eine mittlerweile etwas altmo­dische Punk-Attitüde, mit der ich hier den faschistoiden Arschlöchern und den neototalitären Globalisierern eins auf die Hütte geben will. Ich werde auch nicht den Abbruch der langen Entwicklung dahin fordern. Aber, wie damals gelernt, mache ich diese Revision mit dem Vorschlaghammer. Ein Vorschlag zum Teilabriss.

 

Als die Polizei im Röckchen kam – Quisquis‘ Punk Memories Vol. 1

Ich übernehme hier mal ein paar Texte von Quisquis, über früher und heute, die auf diaspora* veröffentlicht wurden. Es geht um Kreuzberg in den 80ern (so was interessiert mich immer – da hatte ich noch eine glückliche Kindheit hinter dem Antifaschistischen Schutzwall) aber auch um ganz zeitgemäße Gedanken zur Situation. Sehr interessant.

Quisquis hat mir erlaubt den Text zu ändern, was ich aber auf keinen Fall machen werden. Ich sammle Meinungen, nicht Wahrheiten. Ich teile nicht alles, was Quisquis hier schreibt. Darum geht es auch nicht .. es ist die Sicht eines Menschen, der sich eigene Gedanken macht! Tolle Sache, hätte uns nur mal jemand gesagt, dass eine eigene Meinung wichtig ist. Also hier TEIL 1 viel Spaß beim Lesen.

Als die Polizei im Röckchen kam

Beim Musikhören fielen mir heute einige sehr alte Geschichten ein. Aus verschiedenen Gründen finde ich, die sollten mal in loser Folge aufgeschrieben werden. Womöglich sagt das einem was.

Hier ist es vielleicht 1984. Berlin, Kunst- und Kulturzentrum Kreuzberg, geheißen Kukuck, besetztes Haus. Auftritt Punkband MDC.

Der Eintritt war drei Mark. Zahlbar per Einwurf einiger Münzen in einen alten Reisekoffer. Punk balancierte den auf dem Geländer des großen Treppenhauses, oben, vor dem Saal.

Es hatte wohl Streit gegeben, Messerstecherei angeblich sogar. Aber davon habe ich nichts gemerkt. Die Etage war voll mit hunderten Hardcore-Punks. Wohl mitbekommen habe ich dann das Eintreffen der Polizei.

Sie kamen anscheinend zu zweit. Bestimmt im Golf. Heute reiten sie hier schon bei Verkehrs-Lappalien in kugelsicherer Weste ein, sehen jedenfalls so aus. Die aber kamen mit den damals üblichen weißen Schirm-Mützchen und grünen Uniform-Röckchen. Und einer nur bahnte sich den Weg, allein durch hunderte johlende Punks. Ein kleiner älterer Mann, graue Haare, erinnere ich wohl.

Der ging so auf die Bühne, nahm dem Sänger höflich das Mikro weg und wollte kraft seines Amtes eine Ansage starten. Es habe einen Zwischenfall gegeben und man müsse unterbrechen oder so.

Aus heutiger Sicht ganz schön mutig. Zumal „MDC“ seinerzeit landläufig als „Millions of dead Cops“ verstanden wurde. Aber das hatte ihm wohl auch keiner gesagt. Sofort füllte sich die Luft mit Bierflaschen und was jetzt nicht alles fliegen konnte. Das war so eindrucksvoll, dass ich heute staune, keine blutverschmierten Verletzten gesehen zu haben.

Und dann passierten noch zwei Merkwürdigkeiten, die mir erst Jahrzehnte später bewusst wurden. Das erste war meine Reaktion: Es gab fast keine.

Nun weiß ich inzwischen auch aus Beobachtung der eigenen Kinder, dass 15-Jährige eine Tendenz zum Naturbreitsein haben. Damals kam noch diese besondere No-Future-Ignoranz dazu, der Zeitgeist hieß „Tanz auf dem Vulkan“. Mir war völlig klar, dass das sowieso bald alles abkackt. Ob die nun Atombomben schmeißen oder der Russe in West-Berlin einmarschiert.

So dachten anscheinend auch manche Erwachsene, nebenbeibemerkt: Ich hatte Freunde, deren Eltern Eigentumswohnungen in Westdeutschland gekauft hatten, um zur Not einen Fluchtort zu haben. Mir war das alles egal. Jedenfalls: Ich erinnere mich genau an meinen einen wesentlichen Gedanken inmitten dieses durchaus gefährlichen Tumults: „Das Konzert ist ja wohl vorbei. Kann ich auch wieder nach Hause fahren.“ Mit 15 ist mancher einfach etwas stulle.

Die andere Merkwürdigkeit war einer der beiden Polizisten. Die hatten natürlich die Beine in die Hand genommen, mussten sich ernsthaft retten. Das hinderte den Mann aber nicht, auf der Flucht ein etwas dämlich rumstehendes schmächtiges Kind zu bemerken und mit retten zu wollen. Mich nämlich. Schob der mich also im Treppenhaus immer an der Wand lang vor sich her, weil innen von oben die Bierflaschen regneten, vor denen er mich abschirmte.

Das habe ich mir erst in heutiger Zeit überlegt. Selber kein Helm auf dem Kopf, nur Mützchen und will mich auch noch schützen.

Achtenswert.