Bitcoin, Blockchain und der Rest.

Auch wenn es Mastodon in die internationale Presse geschafft hat, wenig dezentrale Software ist so tief ins allgemeine Bewusstsein vorgedrungen wie die Blockchain. In ihrer Urform, dem Bitcoin. Wenig dezentrale Software wird auch so kontrovers und ideologisch diskutiert wie die Blockchain. Die Ursachen für die fast religiöse Ablehnung oder Huldigung sind vielfältig.

bitcoin nutzer symbolbild

Zum einen wird Blockchain fast immer mit Bitcoin verbunden und Bitcoin mit Scam. Und das lässt sich auch nicht von der Hand weisen. Mit BC konnten (und können … vielleicht) enorme Gewinne (oder enorme Verluste) in der kapitalistischen Marktlogik gemacht werden. Um BC sammeln sich Scammer, Spammer, Glücksritter und Leute, die bis vor Kurzem vom “Enkeltrick” lebten. Jeder Erpresser erwartet BC (spätestens wenn die deutsche Regierung eure Gesundheitsdaten verkauft hat, werden alle wissen wie man BC handelt). Kurz, man kommt in schlechte Gesellschaft. Gesellschaft in der man wahrscheinlich wirklich nicht sein möchte.

Des Weiteren werden täglich! Milliarden Volumina in BC gehandelt. Eine Schattenindustrie mit mehreren 100 Milliarden $ Umsätzen pro Jahr. Verglichen mit dem $ und € handel ist das lächerlich und auch Armut, Hunger und Verzweiflung werden weiterhin mit Fiat Währung bezahlt. Aber es löst eine Reaktion aus, bei denen, deren Macht auf dem derzeitigen System beruht. Diese fahren eine enorme Propagandaschlacht.

In dieser Schlacht wird unter anderem behauptet, Blockchain verbraucht extrem viel Energie. Blockchain selbst ist erst mal nur eine komplexe Datenbank. Das Ethereum-Netzwerk hat erst kürzlich vom Proof-of-Work zum Proof-of-Stake Verfahren gewechselt. Eine Transaktion verbraucht so kaum mehr Energie als der Aufruf einer werbefinanzierten Website. Allerdings auf Kosten der Dezentralität. Bitcoin dagegen ist tatsächlich so angelegt, dass “Arbeit” zu Validierung der Verträge nötig ist und diese “Arbeit” verbraucht Energie, viel Energie. Wie viel mehr oder weniger das im Vergleich zu den Termingeschäften an den Börsen oder auch nur zu einer Googleabfrage ist, ist in der ideologisch aufgeladenen Situation schwer zu evaluieren.

Der wohl unangenehmste Teil ist, dass heute alle was mit “Blockchain” machen. jeder Marketingfuzzy, jedes Start-up und alle Firmen brauchen Blockchain … Blockchain, Blockchain, Blockchain ein jämmerliches Buzzwort mit Milliarden Umsätzen, ohne dass es jemand benötigt. Warum sollte ein zentrales System, wie eine klassische Firma oder eine zentralistische Regierung eine dezentrale Datenbank benötigen? Würden sie es benötigen, wäre die Welt schon ein besserer Platz.

Doch was bedeutet das für uns? Sollte die politische digitale Zivilgesellschaft, obwohl sie es ja hervorgebracht hat, auf BC und Blockchain verzichten?

Der enorme Erfolg von Mastodon und der Fediverse genannten Struktur, erzeugt nicht nur ein enormes Maß an Freiheit und völlig neuer Möglichkeiten, es stellt auch neue Fragen. Ist es langfristig überhaupt wünschenswert, dass eine pseudo-dezentrale Struktur entsteht?  Ergibt es Sinn von Zuckerberg oder Musk zum lokalen Sysadmin zu wechseln?

Ich persönlich bin ein großer Fan des Fediverse, aber die Frage, ob wir da nicht auf halber Strecke liegen bleiben oder einfach eine Sackgasse befahren stellt sich auch mir. Projekte wie nostr oder urbit versuchen einen radikal-dezentralen Ansatz, in dem es gar keine Server mehr gibt. Beide Systeme schreiben die Profildaten in eine Blockchain (soweit ich weiß, ist es bei beiden Ethereum) und validieren den Zugang über Token. Da die Datenbank völlig dezentral verteilt ist, gibt es gar keine Instanzen mehr. nostr bindet sich direkt an die Chain und schreibt auch die Inhalte dahinnein. Urbit macht jeden Client zu einem Server (deine Daten liegen also immer lokal auf deinem Endgerät) und nur die Validierung, ob du es auch bist, geschieht über eine Blockchain.

Ich glaube, wir sollten weiter denken. Ideologien nützen uns nichts. Dezentralisierung ist nicht ein belangloses technisches Problem. Dezentralisierung ist eine radikale Veränderung, die sehr tief in die unteren Schichten des Denkens vordringen wird. Es wäre dumm und fatal, sich jetzt mit der Gründung von ein paar neuen Kleingartenvereinen zufriedenzugeben. dezentral * illegal * scheißegal

11. Kapitel Radikale Aufklärung – Föderal, Dezentral

Radikale Aufklärung –> Alle Kapitel

https://word.undeadnetwork.de/foderal-dezentral

Föderal, Dezentral

George Orwell, einer der tiefgründigsten und einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts, beschreibt in seinem ikonischen Buch “1984”(5) eine Welt eines zentralistichen Totalitarismus, der die Gesamtheit des individuellen und gemeinschaftlichen Lebens durchdringt. Auch wenn es sich bei seinem Buch um einen Roman handelt, ist es doch eine scharfsinnige Analyse der spätmodernen Massengesellschaften.

Dass dies keine reine Fiktion ist und wie fatal sich das innerhalb und außerhalb der besagten Gesellschaften auf die Menschen auswirkt, haben viele, teils grausamste Beispiele in der jüngsten Geschichte bewiesen. Basis dieser Totalitarismen sind sowohl in Orwells Vision als auch in den realen geschichtlichen Ausführungen stets ein radikaler Zentralismus. Ein Zentralismus, der keinen Platz lässt, für eine individuelle Selbstverwirklichung oder ein pluralistisches Gesellschaftsmodell, was den Widersprüchen und Eigenheiten einer komplexen, modernen Massengesellschaft Rechnung trägt.

Es ist also davon auszugehen, dass sich in der Tendenz alle unübersichtlichen, entfremdeten Gesellschaften, auf Zentralismus und Totalitarismus zubewegen. Da dies früh erkannt wurde, beruhen die meisten frühen, bürgerlichen und liberalen Verfassungen auf einer Idee des Föderalismus, Dezentralismus und Individualismus.

Auch die entstehende digitale Gesellschaft hat diese totalitäre Tendenz. Heute dominieren wenige und als Monopol vereinte Tech-Companys einen Großteil des Internets und das in einem totalitären Sinn. Nicht nur sind alle digitalen Plattformen und damit alle dort stattfindende Kommunikation und soziale Interaktion unter der Kontrolle besagtem Monopols, sondern auch die Endgeräte und die technische Struktur sind weitestgehend nicht in der Hand derer, die sie benutzen müssen.

Dass damit eine umfassende Kontrolle und Überwachung im orwellschen Sinn stattfindet, ist heute gut bewiesen und dokumentiert und einem Großteil der Menschen bekannt. Damit bewegt sich die digitalisierte Gesellschaft auf dieselben Fatalismen zu, wie es die spätbürgerliche Gesellschaft getan hat. Höchstwahrscheinlich mit denselben grausamen Konsequenzen. Wir müssen also was tun.

Auch da geben uns die offenen Quellen und die offene Software mächtige Werkzeuge an die Hand. Eine der herausragenden Grundlagen dieser Struktur ist der Dezentralismus. Wie oben beschrieben, können die offenen Quellen von jedem Menschen beliebig manipuliert und verändert werden. Sie können damit an die eigenen Bedürfnisse oder die einer Gruppe angepasst werden, ohne dabei die Interessen der anderen Gruppen oder Individuen zu gefährden.

Besonders deutlich wird das bei der zwischenmenschlichen, sozialen Interaktion der Einzelnen. Diese hat sich heute zu einem sehr großen Teil in den digitalen Raum verlagert. Diese Art der Kommunikation ist besonders sensibel und schützenswert, da es sich hier um die Privatsphäre der Menschen handelt, die definitionsgemäß eben nicht für eine Öffentlichkeit bestimmt ist. Es ist leicht einzusehen, dass dieser Schutz der Privatsphäre in einem totalitären, zentralisierten digitalen Raum, wie wir ihn heute vorfinden, nicht möglich ist. In einer Totalität ist alles, auch die privateste Kommunikation, per se öffentlich.

Gelöst werden kann das Problem nur durch eben jene Dezentralisierung der dahinterliegenden Struktur. Ausgehend von der open source Bewegung entsteht zurzeit das sogenannte föderierte Internet (in der Alltagssprache oft Fediverse genannt). In dieser Föderation wird davon ausgegangen, dass sich z.B. die soziale Kommunikation im digitalen Raum auf wenige Standardprozeduren beschränkt. Diese werden als offene Standards definiert und von jedem Akteur im föderierten Netz akzeptiert. Dies führt zu einem enorm hohen Maß an individueller Freiheit und konsequenter Privatheit.

Schauen wir uns als Beispiel die sogenannten sozialen Medien an. In den sozialen Medien findet ein Großteil der privaten Kommunikation statt. Diese Medien sind heute in monopolistischer, totalitärer Hand. Diese Kommunikation beruht aber in der Struktur auf wenigen normierten Handlungen. So gibt es das Publizieren oder Posten, das Kommentieren anderer Publikationen, das Bekräftigen oder Liken, das Weiterpublizieren der Inhalte anderer, das sogenannte Teilen oder die direkte Kommunikation, das Chatten usw.

Beruhten also diese Handlungen auf offenen, für jeden Akteur nachvollziehbaren Standards, wäre es möglich, dass jede unabhängige Instanz, die sich an diese offenen Standards hält, mit jeder beliebigen anderen Instanz mit gleichen Standards auf oben gezeigt Art kommunizieren kann.

So wäre es in einem extremen Fall denkbar, dass jeder einzelne Mensch auf eigener Hardware eine solche Instanz als private Instanz betreibt und trotzdem fähig wäre, mit den anderen Instanzen zu kommunizieren. Da die Voraussetzungen Strukturen dieser Art zu betreiben nicht für jeden Menschen gegeben sind, könnten gesellschaftliche Akteure wie Vereine, Kommunen, Universitäten, einzelne Gruppen oder Individuen diese offene Struktur betreiben.

Da die dahinterliegende Software und die vereinbarten Normen als offene Quellen vorliegen, können sie auch von allen genutzt werden. Föderal, dezentral.